ENDBERICHT

ORGANISATORISCHES

Das Wissenschaftskommunikationsprogramm „Verbale Aggression im Handlungsfeld Schule: Ursachen, Formen, Gewaltprävention“, das ich von 14.03.2018 bis 13.09.2019 an den Schulen in Wien realisiert habe, hat folgende Aktivitäten umfasst: - Treffen mit den Schülerinnen und Schülern (2 Stunden; ca. 1 Monat vor den Workshops): altersentsprechende Einführung in das Thema, Vorstellung der Datenerhebungs-, Datensystematisierungs- und Datenanalysemethoden, Wahl von Themen und Bildung von Arbeitsgruppen. Durchführung von Recherchen durch die Arbeitsgruppen und Vorbereitung von Kurzpräsentationen (3-4 Wochen vor dem Workshop). - Interaktiv fundierte Workshops „Verbale Aggression im Handlungsfeld Schule“ mit den Schülerinnen und Schülern (10-17 J. a., altersentsprechende Gestaltung für zwei Gruppen: 10-13jährige und 14-17jährige). Dauer: 2 Stunden. Anhand der von den Schülerinnen und Schülern durchgeführten Recherchen sind Ursachen, Formen und Funktionen, Wahrnehmung und Reaktionen auf verbalaggressive Sprechakte besprochen und Möglichkeiten gewaltfreier Kommunikation im alltäglichen Miteinander diskutiert worden. Am WK-Programm haben sich 12 Schulen (4 Gymnasien, 4 NMS/WMS, 1BSV, 1BHAS/BHAK, 2 VS) mit mehreren Klassen (insgesamt 27 Klassen), sowie die Justizanstalt Josefstadt beteiligt. Die Teilnahme der Volksschulen am WK-Programm war ursprünglich nicht geplant; da mich die Lehrerinnen kontaktiert haben, in deren Klassen verbale Aggression ein großes Problem darstellte, habe ich gerne die Workshops dem Volksschulalter angepasst und durchgeführt. Die Mitteilungen der Lehrerinnen darüber, dass die Kinder achtsamer zueinander wurden und sich das Klima in den Klassen verbessert hat sowie dass sie die im Workshop thematisierten Inhalte später in ihrer Arbeit mit der Klasse weiterentwickeln konnten, bestätigten, dass es eine richtige Entscheidung war.

PROJEKTZIELE

Alle gesetzten Projektziele konnten erreicht werden – vor allem das Wecken des Interesses an Wissenschaft und Forschung generell und am Thema „Sprache und Gewalt“/„verbale Aggression“ im Spezifischen (siehe bitte Beilagen „Feedback von SchülerInnen“ und „Feedback von LehrerInnen“). Das ist der aktiven Mitwirkung von Schülerinnen und Schülern im Forschungsprozess (Durchführen von Umfragen, Systematisieren, Analysieren des empirischen Materials, Präsentieren von Ergebnissen) zu verdanken; Ebenfalls wurden Kinder und Jugendliche in anregenden Diskussionen darin sensibilisiert, dass Gewalt viele Formen aufweist und die sprachlichen Handlungen genauso, wie die physischen, verletzen und auch eine Gewalttat sein können; Nachdem die Schülerinnen und Schüler selbst in der Rolle von ForscherInnen hatten auftreten können und nach Ursachen, Formen und Funktionen verbaler Aggression im schulischen Alltag geforscht hatten, entwarfen wir gemeinsam von einer gewissen Distanz aus gewaltfreie Modelle der Kommunikation/Emotionsäußerung, sowie besprachen produktive Strategien im Umgang mit verbaler Aggression bzw. mit den (negativen) Emotionen. Das aktive Auseinandersetzen mit den Phänomenen „verbale Aggression“/„verbale Gewalt“ im Handlungsfeld Schule erweiterte die emotionale Intelligenz (Goleman 1995), die gekonnten Umgang mit eigenen und fremden Emotionen und Gefühlen voraussieht, denn die Workshop-Teilnehmenden wurden zur Selbstreflexion und zur Empathie sowohl sich selbst und den anderen gegenüber (Warum schimpfe ich/schimpft die andere Person? Welche Gründe bewegen Sie dazu?) angeregt, was sich vor allem positiv auf deeskalierende Reaktionen in Konfliktsituationen auswirkt.

VERLAUF WISSENSCHAFTSKOMMUNIKATIVER AKTIVITÄTEN

Das erste Treffen habe ich mit der Erzählung, wie ich zum Beruf als Forscherin/Sprachwissenschaftlerin gekommen bin, begonnen. Für Kinder und Jugendliche war es jedes Mal interessant zu erfahren, dass ich die Entscheidung, Germanistik in der Sowjetunion zu studieren (wo Fremdsprachen unwichtig und Auslandsreisen für durchschnittliche BürgerInnen mit unüberwindbaren bürokratischen Hürden verbunden waren) anfangs mit der Möglichkeit, einfacher reisen zu können (als Dolmetscherin oder Reisebegleiterin) in Verbindung gesetzt und die Sprache als Schlüssel zur Freiheit verstanden habe. Diese Darstellung zeigte auch anschaulich, dass die Sprache mehr als nur ein Kommunikationsmittel ist und bot einen Übergang zur Diskussion über die Sprache sowie die verbale Aggression/sprachliche Gewalt: Diskussionsthemen • Wozu die Sprache? • Was ist Gewalt? • Was ist verbale Aggression und was ist verbale Gewalt? • Zusammenhänge: verbale Aggression – physische Aggression • Was kann ich als Zuhörerin/Zuhörer verbaler Aggression tun? Die Äußerungen und Reaktionen von SchülerInnen zeigten, dass sie bei der Frage „Was ist Gewalt? “ spontan an physische Gewalt und erst an zweiter Stelle bzw. nach einleitenden Fragen wie „Sind nur die Schläge/ist nur physische Handlung verletzend?“, an die Möglichkeit, jemanden verbal zu verletzen, denken. Die Forschungsergebnisse von Zuba (2006: 14) bestätigen diese Beobachtung: die Schülerinnen und Schüler identifizieren verbale Gewalt als solche erst dann, wenn sie explizit nach dem Gebrauch von aggressiven Sprechakten gefragt werden. Dementsprechend sind sich viele Kinder erst in diesem Projekt zum ersten Mal des breiten Spektrums sprachlicher Gewalt bewusst geworden (ein Effekt, der von LehrerInnen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, als einer der positiven Effekte besonders hervorgehoben wurde), das vom Gebrauch aggressiver Sprechakte bis hin zu den neutralen Aussagen, die ironisch gemeint sind, zur Verbreitung von falschen Informationen oder Gerüchten, zum Lästern und Erteilen unsinniger Aufgaben bis zu den verweigernden Handlungen wie Schweigen oder Nicht-Benennen reicht. Die Schülerinnen und Schüler kamen mit den aktuellen bzw. in der Sprachwissenschaft wenig erforschten Aspekten in Berührung und hatten die Möglichkeit, selbst einen Beitrag zur aktuellen Diskussion über die Begriffsdifferenzierung „verbale Gewalt“ – „verbale Aggression“ zu leisten. Im Rahmen des ersten Treffens berichtete ich auch über meine Tätigkeit als Forscherin, erklärte je an die Altersgruppe angepasst, Besonderheiten der Datenerhebung (schriftliche, mündliche Umfrage, teilnehmende Beobachtung), der Bearbeitung des empirischen Materials, bot Muster für einen einfachen Fragebogen an, betonte die Wichtigkeit, Anonymität zu gewährleisten. In der zweiten Stunde bildeten sich Arbeitsgruppen (je nach Klassengröße mit 5-6 SchülerInnen), die zu folgenden Themen forschten: Arbeitsthemen • Warum wird im Schulalltag geschimpft? • Wo und mit wem wird geschimpft? • Wie wird geschimpft? • Wie wird auf das Schimpfen reagiert? Welche Reaktionen tragen zum Entschärfen und welche – zum Zuspitzen der Konfliktsituation bei? • Wie können wir verbale Aggression und verbale Gewalt vermeiden? Je nach den Wünschen, kamen in manchen Klassen zusätzliche Themen dazu. Nachdem die Themen gewählt worden waren, setzten sich die Arbeitsgruppen zusammen und besprachen den Verlauf bevorstehender Forschungsarbeiten (wer macht schriftliche Umfrage, wer – mündliche, wie viele Leute fragen wir um, wo findet teilnehmende Beobachtung statt, nach welchen Kriterien klassifizieren wir das gesammelte Material und bereiten es für die Kurzpräsentation vor? usw.). Ich ging dabei von Gruppe zu Gruppe, beantwortete die Fragen und gab Tipps. Das Thema „gewaltfreie Kommunikation“ war als roter Faden in allen Arbeitsgruppen vertreten: auch wenn sich die Schülerinnen und Schüler mit den Konfliktsituationen oder Reaktionen auf verbale Aggression auseinandersetzten, wurden sie von der Projektleiterin angeregt, über die Reaktionen, die sich deeskalierend auswirken, nachzudenken bzw. gewaltfreie Modelle der beobachteten Konfliktsituationen zu modellieren (hier erwies sich der Aktionismus als hilfreiche Methode – die Schülerinnen und Schüler spielten gerne reale Konfliktsituationen aus dem schulischen Alltag und ihre modifizierten gewaltfreien Varianten nach – ob als Vordrängen beim Buffet oder Schimpfen aus Langeweile in der Pause). Nach dem ersten Treffen hatten die SchülerInnen im Schnitt 3-4 Wochen Zeit, um sich mit dem Thema auseinanderzusetzen (bei auftretenden Fragen konnten sie mich direkt oder über Lehrerinnen, die sie bei der Arbeit unterstützten, kontaktieren) und kamen zum zweiten Treffen als „ExpertInnen“, die zu den erforschten Themen kurze Präsentationen (mündlich, als Poster-Präsentationen oder als PP-Präsentationen) anboten. Nach jeder Präsentation gab es meistens viele Fragen von anderen „ExpertInnen“, anregende Diskussionen und Vorschläge zum gewaltfreien Miteinander in der Schule.

ZU DEN ERGEBNISSEN

Unten werden Ergebnisse unserer gemeinsamen Forschungsarbeiten im Bereich der Ursachen und Funktionen verbaler Aggression in der Schule sowie der interkulturellen Besonderheiten präsentiert:

VERBALE AGGRESSION IM HANDLUNGSFELD SCHULE: URSACHEN UND FUNKTIONEN

Das auch bei den Erwachsenen breite Funktionsspektrum aggressiver Sprechakte (vgl. darüber Havryliv 2017) wird in der Jugendsprache durch die für diese Altersgruppe typischen Funktionen (z. B. Selbstdarstellung oder Provokation der Erwachsenen) ausgeweitet. Wie auch bei den Erwachsenen, spielt in dieser Altersgruppe die kathartische Funktion eine wichtige Rolle: „Ich schimpfe um Wut los zu werden“, „Um mich zu beruhigen“ . Zu den häufigsten Ursachen, die zum „abreagierenden Schimpfen“ verleiten, zählen nerviges, provozierendes Verhalten, unfaire Behandlung, Missstand („Wenn mich jemand nervt/provoziert“, „Wenn mir etwas nicht gefällt“) sowie Misslingen einer Handlung („Wenn ich etwas falsch mache“) und Unzufriedenheit („Wenn ich mit der Note, dem Aussehen usw. nicht zufrieden bin“). Ebenfalls häufig erfolgt das Schimpfen bei den Kindern wie auch bei den Erwachsenen mit dem Ziel, Unmut über einen Missstand, über jemandes störendes Verhalten zu äußern und diese/diesen zur Verhaltensänderung zu bewegen. Es sei hier auf die wichtige Rolle, die das Verhalten Erwachsener spielt, hingewiesen, denn es wird als Modell von den Kindern genutzt und nachgeahmt. Deshalb ist es wichtig, denn Kindern nicht nur zu erklären, sondern auch am eigenen Beispiel vorzuleben, dass es normal ist, negative Emotionen zu haben, über jemandes rücksichtslose Verhalten verärgert zu sein usw., dass es aber nicht nur möglich ist, dies konstruktiv zu äußern, sondern dank gewaltfreier Äußerung das Ziel schneller erreicht wird. In der Tabelle unten werden Ursachen und Funktionen der Häufigkeit ihrer Erwähnung nach angeführt, die speziell für den Schulalltag typisch sind.

URSACHE FUNKTION

Langeweile Provokative Funktion Schimpfen als Spass, um andere zum Lachen zu bringen: „Wir schimpfen weil es lustig ist!“ Karnevaleske Funktion Als Antwort auf eine Beschimpfung: „Weil ich mich mit Wort verteidige“ „Zu meiner Verteidigung“ Schutzfunktion Angewohnheit, ungenügende sprachliche Ausdrucksfähigkeit: „Weil es uns einfach herausrutscht!“ Expletive Funktion Um eigene sprachliche Kreativität, Coolness zu demonstrieren Selbstdarstellende Funktion Um die Zugehörigkeit zur Gruppe, in der geschimpft wird, zu demonstrieren Korporarive Funktion Um Kontakt aufzunehmen Kontaktstiftende Funktion Zur Verstärkung einer Aussage/einer Aufforderung: „Damit die Person weiss, dass es mir ernst ist“ Expressive Funktion „Damit i niemand in die Gosch´n hauen muss“. „Ich schimpfe nur, wenn ein anderer mich beleidigt und ich nicht mit Schlagen, sondern wörtlich“ (Aussagen in Originalform) Ersatzfunktion Bei den Funktionen unterscheide ich bewusste und unbewusste: z.B. ist der provozierende Gebrauch im Volksschulalter häufig, für die Kinder dieser Altersgruppe aber noch nicht bewusst. Die 10-14Jährigen dagegen sind sich nicht nur der provozierenden Funktion, sondern auch der Ursache dieses Verhaltens bewusst – „aus Langeweile“. Weitere unbewusste Funktionen: • Um die Standhaftigkeit neuer SchülerInnen zu prüfen • Um die Aufmerksamkeit zu erregen • Angstbewältigung: mit Hilfe von Schimpfwörtern aus der sexuellen Sphäre, die in den Jugendsprachen viel präsenter als in der Gruppe Erwachsener sind, werden die für dieses Alter kennzeichnenden Ängste abreagiert. Dasselbe betrifft auch die Schimpfwörter, die sich auf das Äußere beziehen. Manche Funktionen sind als Folge von Sprachkontakten zu betrachten, z.B. hat Oida, das zum Jugendwort des Jahres 2018 gehört (Salzburger Nachrichten, 2018, 74. JG, N 283, S.7), seinen expletiven Gebrauch (gewohnheitsmäßig, als Pausenfüller) in den letzten Jahren als Folge von Kontakten mit den Sprachen, wo Pejorativa häufig expletiv gebraucht werden, erhöht. Bei dem selbständigen Recherchieren zu den Ursachen verbaler Aggression entdecken die Schülerinnen und Schüler eine breite Palette von Funktionen, die der Gebrauch von aggressiven Sprechakten erfüllt und stellen fest, dass die beleidigende Absicht (die nicht nur im Alltag, sondern auch von SprachwissenschaftlerInnen in erster Linie der verbalen Aggression zugeschrieben wird) eine unterordnete Rolle spielt. Das Wissen über das Funktionsspektrum und die Ursachen verbaler Aggression (z.B. das Schimpfen um die Angst zu bewältigen – wenn Erstklässler aus Unsicherheit ältere Schülerinnen und Schüler verbal angreifen) bewegt die SchülerInnen zur Selbstreflexion und Empathie (sowohl den Anderen als auch sich selbst gegenüber), zur Veränderung des sprachlichen Verhaltens und hilft, angemessen auf verbale Aggression zu reagieren.

INTERKULTURELLE DIMENSION DES GEBRAUCHS UND DER WAHRNEHMUNG AGGRESSIVER SPRECHAKTE. SPRACHKONTAKTE.

An Wiener Schulen als Orten kultureller und sprachlicher Vielfalt findet Tag für Tag interkulturelle Kommunikation statt. Um Missverständnisse vorzubeugen, ist es wichtig, die Besonderheiten der negativen Emotionsäußerung in verschiedenen Sprachen zu berücksichtigen.

SCHLÜSSEL ZUR INTERKULTURELLEN VERSTÄNDIGUNG: BERÜCKSICHTIGUNG VERSCHIEDENER TABUBEREICHE UND EHRENKONZEPTE.

Die Besonderheiten der Emotionsäußerung, der Wahrnehmung verbaler Aggression sowie der Reaktionen darauf stehen mit den Tabubereichen und Ehrenkonzepten in der jeweiligen Gesellschaft im Zusammenhang und finden in verschiedenen Schimpfkulturen Ausdruck. Bei den Schimpfkulturen unterscheiden die Malediktologinnen und Malediktologen (Aman 1996, Stavyc´ka 2008, Zhelvis1997) folgende:

SCHIMPFKULTUREN

• Shit-Kultur (z. B. das Deutsche, das Französische, das Ukrainische)

• Sex-Kultur (das Russische, das Englische, das Serbische)

• Sacrum-Kultur (das Spanische, das Italienische)

• Verwandtenbeleidigung – verbreitet in der Türkei, im Nahen Osten, in den USA (unter dem Einfluss anderer Kulturen)).

In der heutigen mobilen Welt sind die Grenzen zwischen den „Schimpfkulturen“ verschwommen. Das beobachten wir insbesondere in den Jugendsprachen wenn infolge von Sprachkontakten die für das Deutsche untypischen Beleidigungspraktiken verwendet werden wie z.B. rituelle Mutterbeleidigungen. Die Sprachkontakte werden in Wiener Schulen als Orten kultureller Vielfalt auch durch die Besonderheit der Jugendsprache, die in der Offenheit und Dynamik besteht, begünstigt. Die Funktionen ritueller Beschimpfungen sind vor allem folgende:

• Behauptung in der Gruppe durch die Demonstration sprachlicher Kreativität und Schlagfertigkeit • Publikumsaufheiterung

• Spielerisches Abbauen von Aggressionen Einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (Calliess (1978: 57), Ermen (1996: 106), Kiener (1983: 184), Schmauks (2010: 195)) stellen den Einsatz physischer Aggression mit ungenügender sprachlicher Geschicklichkeit in Zusammenhang (vor allem bei den Kindern und Jugendlichen), überbewerten die positiven Aspekte ritueller Beschimpfungen und halten sogar ein „gezieltes Schimpftraining“ (Schmauks 2010: 195) für sinnvoll, um die sprachliche Schlagfertigkeit auszubauen und verbale Aggression an Stelle der physischen zu setzen. Ich halte diese Vorschläge für ungeeignet, denn es besteht die Gefahr, sich in die (negativen) Emotionen zu steigern so dass die anfangs scherzhaft gemeinten und genauso wahrgenommenen Äußerungen sich zu verbalen Beleidigungen entwickeln und in physischer Aggression enden. Die wichtigste Voraussetzung für erfolgreiche rituelle Beschimpfungen (Ausbleiben beleidigender Wirkung) ist ihre Fiktionalität, weshalb die Propositionen „/…/ immer bizarrer und unwahrscheinlicher“ werden (Labov 1980: 282):

• Deine Mutter ist deine Schwester/ein Mann.

• Deine Mutter ist so fett, wenn sie hochspringt, bleibt sie in der Luft kleben

• Deine Mutter ist so dumm, wenn es an der Tür läutet, dann bellt sie. Lexikalische Verankerung des muttersprachlichen Schimpfvokabulars erklärt auch so manches „sonderbare“ Schimpfverhalten der Mitschülerinnen und Mitschüler, z.B.:

• Gebrauch von für das Deutsche als „fäkal-anale Schimpfkultur“ untypischen Pejorativa aus dem sexuellen Bereich, die wörtlich aus der Muttersprache übertragen werden oder

• Expletiver Gebrauch von Schimpfwörtern – als Pausenfüller, desemantisiert, warum auch bei den Mädchen mit den Wurzeln in anderen Kulturen folgende Ausdrücke häufig vorkommen: Jebem ti majku (Ich fick deine Mutter)! Jebem ti (Ich fick dich)! Die Wahrnehmung verbaler Aggression und Reaktionen darauf zeichnen sich ebenfalls durch interkulturelle Besonderheiten aus: „Am schlimmsten empfinden wir, wenn unser Land, unsere Mütter, unsere Familien beschimpft werden“. (4 Mädchen mit serbischen und bosnischen Wurzeln) „Wenn ich eine Beschimpfung ignoriere, bin ich kein Mann!!!“ (Bub mit tschetschenischen Wurzeln). IMPULSE FÜR DIE PROJEKTLEITERIN Das Projekt gab mir Impulse nicht nur für künftige theoretische Arbeiten und Ideen für weitere Projekte, sondern auch für methodisch-didaktische Publikationen. So ist infolge des Austausches (außerhalb von Workshops) mit den LehrerInnen und SchülerInnen unter dem Motto „Was ist schwer im Deutschen?“, die meine eigenen Erfahrungen im Unterrichten des Deutschen bestätigten, der Beitrag „Den Fällen einen Namen geben: Methodisch-didaktische Empfehlungen zum Unterrichten des grammatischen Themas „Fälle““ entstanden (VŠD Forum of Foreign Languages, Politology and International Relations 2/2018, Vol. 10. www.vsdanubius.sk/files/312/sk/forum-2-2018.pdf, S. 35-41). Die WKP-Aktivitäten offenbarten eine Reihe von Forschungsfragen und Aufgaben, deren Lösung für das Ausarbeiten effizienter gewaltpräventiver Maßnahmen nützlich sein und somit einen anwendungsorientierten praktischen Nutzen haben kann. Deshalb habe ich vor, künftig ein Forschungsprojekt zu starten, das diesen Fragen nachgehen sollte. Die Erfahrungen, die ich im Projekt gemacht habe und die von LehrerInnen und SchuldirektorInnen bekräftigt wurden, zeigten die Notwendigkeit eines komplexen Herangehens an die Phänomene „verbale Aggression – verbale Gewalt in der Schule“, was das Einbeziehen verschiedener SchulpartnerInnen voraussieht. Davon ausgehend habe ich ein WKP-Folgeprojekt „Wissenschaftskommunikation als Brücke zur Gewaltprävention im Sozialfeld Schule“ vorbereitet, das sich durch diesen ganzheitlichen Handlungsansatz auszeichnet und wissenschaftskommunikative Aktivitäten mit den LehrerInnen, SchulpsychologInnen, Peers und Eltern/Erziehungsberechtigten umfasst, wodurch unter anderem Beitrag zur Zusammenarbeit „Schule – Familie“ geleistet wird.

ZUSAMMENFASSUNG

Der Wissenstransfer und das Auseinandersetzen mit verbaler Aggression im Handlungsfeld Schule tragen zum besseren Verständnis des betreffenden Phänomens bei, regen die Schülerinnen und Schüler zur kritischen Selbstreflexion des eigenen verbalaggressiven Verhaltens, zur Empathie an und bewegen sie in Richtung gewaltloser Kommunikation. Es war jedes Mal für mich als Projektleiterin und für die beteiligten Lehrerinnen und Lehrer eines der schönsten Momente, wenn wir merken, dass Kinder und Jugendliche als Folge von eigenständigen Recherchen und durchgeführten Diskussionen zur Schlussfolgerung gelangten, dass sie gewaltfrei kommunizieren können und daher ihr (Sprach)verhalten verändern möchten.

LITERATUR

Aman R. Die klügsten Beschimpfungen findet man im Jiddischen. In: Psychologie heute 1996, Bd. 23, Nr. 11. S. 32-35.

Calliess R.-P. Gewalt und Recht. In: Röttgers K., Saner H. (Hg.). Gewalt. Grundlagenprobleme in der Diskussion der Gewaltphänomene. Basel und Stuttgart: Schwabe&Co.AG, 1978. S. 50-61.

Ermen I. Fluch – Abwehr – Beschimpfung. Pragmatik der formelhaften Aggression im Serbokroatischen. Frankfurt am Main u.a.: Peter Lang, 1996.

Goleman D. Emotionale Intelligenz. München: Hanser, 1995.

Havryliv, O. Das Zeichen und dessen Referentialität (am Beispiel von Pejorativa) Kodikas/Code Ars Semeiotica. An International Yournal of Semiotics 40 (2017), 3-4. S. 320-331.

Kiener F. Das Wort als Waffe. Zur Psychologie der verbalen Aggression. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1983.

Labow W. Regeln für rituelle Beschimpfungen. In: Dittmann, N., Rieck, B.-O. (Hg.). Sprache im sozialen Kontext. Königstein/Ts.: Athenäum, 1980. S. 251-286.

Rosenberg M. Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens. Paderborn: Junfermann, 2005.

Schmauks, D. Rezension – Oksana Havryliv (2009): Verbale Aggression. Formen und Funktionen am Beispiel des Wienerischen. In: Kodikas/Code – Ars Semiotica 33/1–2/2010. S. 193-197.

Stavyc´ka, L. = Ставицька, Леся = Stavyc’ka, Lesya. Українська мова без табу. Словник нецензурної лексики та її відповідників (обсценізми, евфемізми, сексуалізми). Київ: Критика, 2008. Zhelvis =

Жельвис, В. Поле брани. Сквернословие как социальная проблема. Москва: Ладомир, 1997.

Zuba, R. Jugend und Gewalt — Gewalt innerhalb und außerhalb der Schule. Wien: Studie des Österreichischen Instituts für Jugendforschung, 2006.